Das kollektive Daumendrücken für besseres Wetter muss wohl geholfen haben. Der Festival-Samstag in Diepholz begann für das Appletree Garden jedenfalls weitaus freundlicher als am Tag zuvor. Die dicken Wolkenfelder waren der Sonne gewichen und die vielen Camper hatten die Gelegenheit, endlich ein wenig Wärme zu genießen, die nicht nur die Zelte, sondern vor allem das Gemüt streichelte. Galt am Tag zuvor noch „Land unter“ als Motto, waren kaum 24 Stunden später nur noch die äusserst matschigen Folgen des Unwetters sichtbar. Für die Veranstalter hieß die erste Aufgabe des Tages Schadensbegrenzung. Leider versäumten sie nach dem Trockenlegen des Eingangsbereiches, auch auf dem weiteren Gelände für halbwegs anständige und sichere Fußwege zu sorgen. Die Folge: das Springen von Pfütze zu Pfütze, ein extrem aufgeweichter Boden und permanente Rutschpartien.
Immerhin blieben die Zuschauer von weiteren Abkühlungen von oben verschont und konnten am letzten Festivaltag die Regencapes gegen Sonnenbrillen eintauschen. Das taten sie auch prompt und gingen sogar mit selbstgebastelten Accessoires à la Hund- bzw. Ente-am-Stock spazieren, wenn sie nicht die Konfetti-Tüten zückten oder Seifenblasen in die Luft pusteten. Nur die Gummistiefel erinnerten beim Styling noch an die Wasserschlacht des vergangenen Tages. Wer tapfer auf dem Festival-Gelände ausgeharrt und dem Regen getrotzt hatte, der gönnte sich zur Belohnung ein Eis im Sonnenschein oder machte es sich in der Hängematte zwischen den Bäumen gemütlich bis die ersten Beats aus den Lautsprecherboxen tönen sollten.
Zum Auftakt auf der Hauptbühne hagelte es von Coely aus Antwerpen einen gerappten Wortschwall nach dem nächsten. Luftholen war sowohl für die Künstlerin als auch das Publikum kaum möglich und die leichte Mittagsträgheit spätestens nach ein paar Minuten wie weggeblasen. Zu laut und fordernd die Bässe, zu forsch die verbalen Fähigkeiten der jungen Belgierin, als dass Langeweile aufkommen könnte. Ebenfalls noch recht jung und wenig schüchtern präsentierte sich kurze Zeit später Findlay aus Manchester, die ihre rockigen Songs den Zuschauern förmlich vor die Füße rotzte und von der Einstellung ein wenig auf Krawall gebürstet schien. Mit der The Stooges Cover-Version von „I Wanna Be Your Dog“ rundete sie ihr angrifflustiges Set ab und konnte insgesamt beim wachgerüttelten Publikum punkten.
Eine Tatsache, die auch für die englische Kollegin Kate Tempest galt, deren wortgewaltiger Auftritt nicht nur vielversprechend war, sondern als eine der größten positiven Überraschungen galt. Das Gesicht unschuldig mit blonden Locken eingerahmt, rappte sich die Britin durch einen ganzen Stapel an Geschichten und tat dies mit einer ausgesprochenen Lockerheit, die bemerkenswert war. Selbst ein nahe der Bühne stehender Security wurde von den tanzbaren Beats und einnehmenden Worten gepackt, so dass er mal eben den Job für ein paar eingestreute Grooves links liegen ließ. Die Party und den Schalk gleichzeitig im Nacken surfte im Anschluss ein besonders balance-fähiger Herr im Publikum auf einem Tisch bis nach vorne zur Bühne und zog zur Abwechslung ein paar Blicke auf sich, die sonst auf der talentierten Engländerin ruhten.
Is Tropical mochten bei ihrem anschließenden Set zwar die schwarzen Lederjacken auf den Schultern tragen und das lange Haar zu den eigenen Songs wild im Takt schütteln, ihre Performance blieb jedoch über weite Strecken ausdruckslos und unaufgeregt poppig, auch wenn die Band wohl gerne Rock’n’Roll-Atmosphäre versprüht hätte. Linkoban wirkte wenig später zwar energiegeladen und durchaus bereit, die Menge mit ihrem Sog aus Elektro-Rap bis in den hintersten Winkel des Apfelhains zu unterhalten, inhaltlich blieb die Dänin aber auf einem im unteren Bereich angesiedelten Niveau auf der Strecke und schoss sich auf die Dauer betrachtet selbst ins Abseits.
Alles richtig machten dagegen die dänischen Party-Experten von WhoMadeWho, deren Auftritt für allseits hochgezogene Mundwinkel und tanzende Füße im Matsch sorgte, wohin das Auge blickte. Schon im Vorfeld schallten „sexy Drummer!“ Rufe in Richtung Bühne und die Band wurde bereits beim Soundcheck gefeiert als wäre die Spannung bis zum eigentlichen Auftritt viel zu groß. Als es dann soweit war und das Trio seine Ohrwürmer auf die Menge losließ, wurden sogar die Securities im Bühnengraben vom heiteren Geschehen angesteckt, warfen mit Konfetti um sich und animierten die Fans in den ersten Reihen zum ausgelassenen Tanzen und Klatschen. Für den Sänger Jeppe Kjellberg gab es noch einen frisch gepflückten Blumenkranz zum Dank, den er stolz ein paar Songs lang auf dem Kopf trug und selbst bei akrobatischen Verrenkungen am Mikrofon nicht abnehmen wollte. In Sachen Unerhaltungsfaktor führten die Dänen das Feld an diesem Festival-Wochenende eindeutig von ganz vorne an.
Nur eine Band konnte danach noch mit musikalischem Können dagegen halten und gefühlt auch den letzten Zuschauer vor die Hauptbühne locken: Moderat aus Berlin. Der atmosphärisch-dunkle Abschluss des Appletree Garden mag zwar in vielerlei Hinsicht im Kontrast zum restlichen Programm stehen, konnte aber zweifelsohne ein Ausrufezeichen hinter das Wochenende setzen. Dafür brauchte es auch nur die versierten Handgriffe von Modeselektor und Apparat sowie eine schlichte Leinwand im Hintergrund, die mit dezenten Visuals zusätzlich optische Reize in den lauen Sommerabend entsandte. Nach dem Verklingen der Zugabe, blinkten die Lichter zum Abschluss des Festivals ein letztes Mal über dem Gelände auf und tauchten anschließend alles in ein Schummerlicht.
Im nächsten Jahr wird Diepholz dann wieder zum Sammelpunkt für Musikliebhaber werden, die gerne einen Blick über den Tellerrand werfen. Bis dahin rappelt höchstens die Apfelernte am selbigem Ort und es darf mit einem wohligen Blick auf das diesjährige Festival zurückgeschaut werden.