Neneh Cherry (Credit Kim Hiorthoy)Als die Nachricht eines neuen Neneh Cherry Albums die Runde machte, jubelten die einen „Comeback!“ während ein paar unschuldig, junge Gesichter Fragezeichen über den Köpfen gehabt haben dürften. Lange Zeit war es still um die schwedische Sängerin und so kam die Aussicht auf neues Studiomaterial einer kleinen Sensation nahe. Ganze 18 Jahre mussten sich Fans gedulden, um nach dem 1996er Werk „Man“ das mittlerweile 4. Soloalbum der Künstlerin in den Händen zu halten, die mit Songs wie „Buffalo Stance“, „Manchild“ oder auch „7 Seconds“ mit Youssou N’Dour weltweit Erfolge feierte.

Zwischendurch fütterte die 90er-Ikone die Ohren aller Interessierten mit diversen Kollaborationsarbeiten zu denen sowohl CirKus als auch The Thing zählten. Besonders letztere musikalische Fusion steuerte das Hip-Hop geprägte Klangbild Cherrys hin zum Free-Jazz und deutete einen ersten kleinen Kurswechsel an.

Tappt ein kreativer Geist nach so vielen Jahren wieder zurück ins Rampenlicht, kann aus dem angesteuerten Solo-Comeback schnell eine peinliche Schieflage zurück in die Versenkung werden. Mit „Blank Project“ schlägt die mittlerweile 50-Jährige Allround-Musikerin ihrer Vergangenheit hingegen ein Schnippchen und widerstand der Versuchung, mit nostalgischem Unterton an die alten Zeiten anknüpfen zu wollen. Die neue Platte ist alles andere als ein Alterswerk geworden. Im Gegenteil – Neneh Cherry überrascht mit einer kompromisslosen Sound-Kehrtwende.

Der Wechsel zum Nischenlabel „Smalltown Supersound“ dürfte dabei eine gute Wahl für die Arbeit an den neuen Songs gewesen sein, bietet doch gerade dieser Ort den scheinbar optimalen Nährboden für die Verschmelzung von Jazz, Elektronik und Rock. Statt erneuten Ausflügen ins Pop-Genre oder dem Aufwärmen der Liebeleien zum Hip-Hop wagt Cherry den Schritt hin zu mechanisch kühl wirkenden Industrial-Beats mit Synthesizer-Begleitung und legt den Fokus auf ihre Soul-Stimme. Der bewusst minimalistisch gehaltene Ansatz des Albums besitzt fast Demo-Charakter und ist mit der spartanischen Instrumentierung so Lo-Fi orientiert wie nur möglich.

Es gibt wohl kaum eine Platte im Cherry-Archiv, die in ihrer Gesamtheit emotional aufgeladener, intimer und direkter ist als „Blank Project“. Neneh mag zwar bei weitem kein unbeschriebenes Blatt sein, schlägt allerdings auf den neuen Stücken unbeirrt ein völlig neues Kapitel auf und zieht gefühlsmäßig blank. Die daraus resultierende Rauheit auf klanglicher Ebene dient dabei als Spiegelbild der aufgegriffenen Themen wie dem Älterwerden, der Weiblichkeit oder auch der Auseinandersetzung mit Beziehungen. Den intensiven Zugang zum eigenen Ich erfuhr Neneh Cherry vor allem durch die Trauer um ihre verstorbene Mutter.

Mit Kieran Hebden alias Four Tet auf dem Produzenten-Stuhl gelingt der Stieftochter der Jazz-Legende Don Cherry ein weiterer Coup. So schafft es gerade Kieran, das quirlige Wesen Cherrys und die klanglich erzeugte Wildheit zu bändigen, die besonders vom Londoner-Duo RocketNumberNine ausgeht, deren Beats den Grundstein für die Songs legen. Ein kleiner Generationswink erfolgt dagegen im Duett mit einer weiteren schwedischen Gesangspartnerin im Song „Out Of The Black“, in dem Robyn sich an Cherrys Seite gesellt. Statt einer Power-Dance-Hymne erwartet den Hörer allerdings auch dort ein vergleichsweise verhalten anmutender Song, dessen Groove jedoch als dynamisches Zugpferd agiert.

Der Radar hat Neneh Cherry in den letzten Jahren vielleicht nur vereinzelt wahrgenommen. Mit „Blank Project“ ist der Musikerin aber ein spannendes, zukunftsorientiertes Werk gelungen, das besonders der überproduzierten und glattpolierten Ästhetik vieler zeitgenössischer Alben den Rücken kehrt und damit erstaunlich gut fährt. Sogar bis an die Spitze ihres eigenen Schaffens.

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