Babyshambles - liveVor einem Konzert bin ich immer etwas aufgeregt. Ob sich die Band live wohl genau so anhört wie auf LP? Oder vielleicht sogar besser? Werden sie mein Lieblingslied spielen? Wird es ein zweistündiges Fest oder hauen sie ganz schnell wieder ab? Am Mittwochabend schwebten mir – auf dem Weg ins Hannover’sche Capitol – all diese Fragen ebenfalls durch den Kopf. Viel entscheidender war allerdings ein Gedanke, der doch eher ungewöhnlich ist: Werden sie überhaupt da sein?

Mit solchen Sorgen wird man nur gequält, wenn man Karten für einen Gig der Babyshambles ergattert hat. Pete Doherty, das enfant terrible der Indie-Szene, ist gemeinhin bekannt für Verspätungen, Konzertabsagen, Zickereien und, natürlich, seine Drogeneskapaden. Dementsprechend gut überlegte ich mir im Vorhinein, ob ich mir wirklich eine Karte kaufen wollte. Ich entschied mich schließlich dafür, fühlte mich vorbereitet und versuchte so gelassen wie nur möglich an die Sache heranzugehen. Da es ausgerechnet sein 35. Geburtstag war, musste allerdings mit dem Schlimmsten gerechnet werden.

Um kurz nach 20 Uhr beschritt eine junge Dame aus Berlin die Bühne. Nessi war ihr Name und sie verkündete kurz darauf, dass ein Geburtstagskind backstage sei. Allgemeine Erleichterung im Publikum. Darüber hinaus beglückte sie uns mit einer wunderschönen, zarten Mischung aus gitarrenunterlegtem Pop, Rock und kleineren elektronischen Details. Viel zu schnell ist ihr Set zu Ende gespielt.

Dann bange Momente. Wie lange man sich wohl heute die Beine in den Bauch stehen muss, bis der Hauptact des Abends erscheinen wird? Wenig später steht fest: nicht lange. Um halb zehn kommen die Babyshambles und legen mit „Delivery“ gleich standesgemäß los. Während Mick Whitnall, Drew McConnell und Jamie Morrison an Gitarre, Bass und Schlagzeug musikalisches Präzisionswerk an den Tag legen, stolpert Doherty durch den Songtext. Der Chorus mutiert zum Wortwirrwarr, welches durch das sicher mitsingende Publikum allerdings übertönt wird.

Ich fühle mich unwohl. Einer der größten Hits der Babyshambles, der erste Song des Sets und schon wirkt Peter Doherty merkwürdig überfordert. Die Fans singen ihm anschließend artig ein Geburtstagsständchen, was Doherty nicht weiter kommentiert. Überhaupt ist er den ganzen Abend über äußerst wortkarg. Mehrmals starrt er ungläubig auf sein Mikrofon, als könnte er selbst kaum glauben, dass er gerade auf einer Bühne steht.

Diese Szenerie zieht sich durch das gesamte Konzert. Immer wieder haspelt sich Doherty durch den Text, fängt sich dann, steigt richtig ein – um später doch wieder den Faden zu verlieren. Kurioserweise ist es ein großartiges Konzert. Die Unbedarftheit, mit der Pete Doherty diesen Gig gestaltet, passt eben zum Sound der Babyshambles und auch zu einer Rock’n’Roll-Attitüde, die Selbstdemontage zugunsten von Musik gestattet. Dass alle Bandmitglieder großartige Musiker sind und bei Doherty diese musikalische Finesse von Zeit zu Zeit durch Drogen vernebelt ist, steht außer Frage. „Side Of The Road“, „8 Dead Boys“, „Maybelline“: Sie spielen sich durch alle Veröffentlichungen, alle Hits und verpassen den Songs eine Dreckigkeit, die sie auf den Alben nicht haben.

Dennoch drängt sich mir der Eindruck auf, als würde ich langsam an einem Autounfall vorbeifahren und gaffen. Immer wieder schleicht sich eine Dankbarkeit ein, ihn noch live gesehen zu haben. Als sei er ein Todgeweihter. Und später in der U-Bahn bestätigen mir einige andere BesucherInnen, dass es ihnen ähnlich ging. All das gibt dem Konzert eine Morbidität, die unangenehm ist.

Nach einer Stunde entscheidet Doherty, dass es nun genug ist. Die Bandmitglieder trotten ihm mit Verzögerung Richtung Backstage hinterher. Teile des Publikums hoffen dennoch auf eine Zugabe, viele gehen. Nachdem sich die Babyshambles zirka eine viertel Stunde bitten lassen, kommen sie tatsächlich zurück, covern „Blitzkrieg Bop“ von den Ramones und spielen noch drei eigene Songs. Am Ende sitzt Peter Doherty auf der Bühne, jammt ein bisschen und beginnt immer wieder das Anfangsriff von „La Belle et la Bete“. Schließlich überzeugen die Bandmitglieder ihn, dass man nun „Fuck Forever“ spielen sollte – vermutlich, damit das Konzert danach beendet werden kann.

Und so bildet der erfolgreichste Song der Band den Abschluss dieses kuriosen Abends, an dem Gitarren über die Bühne sowie Hüte und Getränke in die Menge flogen, man stellenweise Angst hatte, dass Doherty in den Graben fallen könnte – und schließlich doch froh war, ein Ticket ergattert zu haben.

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