Dear Reader haben im Frühjahr diesen Jahres ihren neuen Longplayer „Rivonia“ veröffentlicht und mit „We Followed Every Sound“ nun bereits ein weiteres Album heraus gebracht. Dieses ist jedoch eine Neuaufnahme bekannter und einiger neuer Songs mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg. Aus Anlass des gestrigen Releases traf MusikBlog Sängerin und Macherin von Dear Reader, Cherilyn MacNeil, zum Interview.
MusikBlog: Hast du, bevor du mit Darryl Torr 2006 zusammen gekommen bist, schon Musik gemacht?
Cherilyn: Ich habe immer Musik gemacht. Meine Familie ist sehr musikalisch, meine Mutter spielt Klavier, mein Vater spielt Gitarre und wir haben früher auch zusammen mit Onkels, Tanten, Omas und Cousinen gesungen. Musik war immer Teil meines Lebens. Ich habe mit 8 angefangen, klassisches Klavier zu spielen, dann Gitarre. Mit 14 habe ich angefangen, eigene Lieder zu komponieren. Als ich 18 war, wollte ein Produzent, Granny Smith, mit mir eine Platte aufnehmen, aber das war nicht mein Ding. Ich bin dann nach England gegangen für ein Jahr. Zurück in Johannesburg hat mich dann Daryl bei einem Auftritt gesehen und hat mich als Mentor ermutigt, eine Band mit ihm zu gründen. Also haben wir gemeinsam eine Platte unter dem Namen Harris Tweed heraus gebracht.
MusikBlog: Aber diesen Namen musstet ihr ja dann wieder ändern…
Cherilyn: …ja, wegen dieser anderen Firma aus Australien. Wir hatten die eigentlich gefragt und sie hatten zugestimmt, aber dann kam wohl ein neuer Besitzer und wir hatten keinen Bock auf einen Rechtsstreit. Eigentlich hat es mich sogar ein bisschen gefreut, weil es war eine Möglichkeit, neu anzufangen und einen Cut zu machen. Am liebsten würde ich den Namen bei jeder Platte ändern!
MusikBlog: Woher kommt denn der Name Dear Reader?
Cherilyn: Ich hatte das Buch „Jane Eyre“ von Charlotte Brontë gelesen, was ja in der ersten Person geschrieben ist, sie redet also mit dem Leser. Als sie zuerst in dem Buch sagt „Dear Reader“ – das war schon toll, ein besonderer Moment. Und, es gab noch keine andere Firma mit diesem Namen.
MusikBlog: Warum haben du und Daryl euch dann nach der ersten Platte wieder getrennt?
Cherilyn: Na ja, Daryl ist ein Geschäftsmann, er war sehr ambitioniert und hat versucht, mich immer zu puschen. Er war auch 10 Jahre älter und sein Musikgeschmack war anders als meiner. Ich dagegen war noch auf der Suche nach meinem Stil, wollte wachsen und unabhängig werden, daraus ergab sich der Konflikt. Es war einfach Zeit für den Bruch. Wir sind jedoch immer noch gute Freunde.
MusikBlog: Gefällt es dir, allein zu arbeiten und diese Freiheit zu haben? Oder hättest du lieber wieder feste Bandmitglieder?
Cherilyn: Wie alles, hat es Vor- und Nachteile. Ich liebe es, allein zu arbeiten. So war ich schon immer, auch mit Daryl habe ich schon so gearbeitet. Ich mag keine Gruppenarbeit, ich kann nicht so gut mit anderen zusammen in einem Raum arbeiten. Mir gefällt die Autonomie sehr. Manchmal fühle ich mich dennoch einsam und die alleinige Verantwortung fühlt sich schon manchmal sehr schwer an. Es ist auch operativ nicht so leicht, mit nicht festen Bandmitgliedern zu proben und Touren zu organisieren.
Vielleicht probiere ich es mal bei einem anderen Projekt aus, aber Dear Reader mit jemandem zu teilen, kann ich mir derzeit nicht vorstellen. Gerade bei „Rivonia“ hatte ich sehr viel Autonomie, ich habe alles selber gemacht und wollte mir auch beweisen, dass ich es alleine kann.
MusikBlog: Der Sound auf „Rivonia“ und erst recht auf „We Followed Every Sound“ klingt etwas bombastischer und zugänglicher als auf den vorherigen Alben, die doch eher intim und Singer/Songwriter geprägt waren. War das Absicht?
Cherilyn: Eigentlich habe ich versucht, eher weniger zu machen. „Idealistic Animals“ hatte so viele Sachen drin, manchmal hatte ich fast das Gefühl, es hat die Songs fast erstickt. Es waren zu viele Dinge auf einmal. Eigentlich mag ich das, weil man bei jedem Hören neue Sachen entdecken kann. Es ist immer schwierig, weil es auch Menschen gibt, die mir sagen, du solltest dich auf die Stimme und die Songs konzentrieren. Ich dagegen wollte immer zusätzliche Sachen in den Songs haben, weil es sonst zu langweilig wäre. „Rivonia“ war daher ein Kompromiss, ich habe versucht, weniger zu machen und mich mehr auf die Stimme zu konzentrieren und trotzdem viele Instrumente darin zu haben.
MusikBlog: „Rivonia“ war zum ersten Mal auch politisch. Ist das unvermeidlich, wenn man in Südafrika aufwächst?
Cherilyn: Überhaupt nicht. Ich war in einer ignoranten Blase und hatte ein extrem beschütztes Leben in einem Vorort. Wir haben zuhause nie über Politik oder gesprochen. Meine Eltern haben mich sehr christlich erzogen. Sie haben mir schon gelehrt, dass Schwarze genauso wie Weiße sind, jedoch mehr aus moralischer Sicht, nicht aus politischer. Dann war ich Teil einer Subkultur, die jedoch eher nach innen orientiert war. Die meisten weißen Südafrikaner sind nicht sehr politisch, die Mauer um die Häuser könnte auch die Mauer im Kopf symbolisieren.
Das hat sich dann erst geändert, als ich hierher gekommen bin. Die Leute hier sind sehr politisch interessiert und haben mich nach den politischen Zuständen gefragt. Das war sehr peinlich für mich und ich habe angefangen, mich für die Politik in Südafrika zu interessieren, ich habe viel gelesen. Das hat mir sehr die Augen geöffnet. Ich sehe Südafrika nun aus anderer Perspektive.
MusikBlog: Warum bist du überhaupt nach Berlin gezogen?
Cherilyn: Es war eine gute Gelegenheit und überhaupt die Möglichkeit, ein Visa zu erhalten. Ich war vorher schon oft hier [Anm. der Red.: Dear Readers Label Cityslang hat seinen Sitz in Berlin] und es war immer sehr aufwändig, von Südafrika hierher zu reisen. In Südafrika ist es auch sehr schwer, vom Musikmachen zu leben, außer man macht absoluten Superpop. Hier in Deutschland kann ich das. Es gibt viel mehr Interessierte in meine Art von Musik und auch mehr Förderung. Es gibt bessere Möglichkeiten zu touren, in Südafrika gibt es nur wenige Veranstaltungsräume und es ist sehr aufwändig eine Tour zu organisieren quer durch das ganze Land. Es war also für meine Karriere eine sehr gute Idee und außerdem hatte ich die Nase voll von Johannesburg, die Musikszene ist extrem klein und ich war dort mein ganzes Leben.
MusikBlog: „We Followed Every Sound“ kam ja auf Einladung von Radio1 zustande. Hattest du keine Bedenken, so schnell nach „Rivonia“ im Frühjahr ein weiteres Album heraus zu bringen?
Cherilyn: Nein. Es war ja zunächst auch gar nicht als Album geplant, sondern nur als Konzert. Es war eine Live-Radio-Show im Studio Babelsberg mit dem dortigen Filmorchester und wir hatten die Möglichkeit, es aufzuzeichnen. Für mich war das super, weil es war ein so spezielles Ereignis und wir haben so viel Arbeit reingesteckt. Wir hatten nur einen Gig vorher als Warm-up-Show, in einem Privatclub, nur vor Freunden. Es war ziemlich aufregend, wir haben so viel geprobt und ich habe wochenlang nicht geschlafen. Aber es war eine einmalige Chance und wir wollten, dass es danach auch allen anderen zur Verfügung steht.
Die Live-Show war sehr schwierig wegen des großen, 70 Mann starken Orchesters und der Zeitverzögerung durch die Akustik usw. Ich konnte auch dem Dirigenten nicht folgen, der Schlagzeuger saß in einem Glaskasten und konnte uns nicht verstehen, was die Kommunikation schwierig machte. Ich habe mich deshalb auf mich selbst konzentriert. Es war viel zu schnell vorbei, ich bin froh, dass es eine CD davon gibt.
MusikBlog: Was kommt denn als nächstes? Back to the Roots oder doch die Stadien dieser Welt?
Cherilyn: Diese Frage habe ich mir auch schon gestellt. Ich möchte gern etwas ganz anderes machen, aber ich weiß noch nicht was. Vielleicht eine Zusammenarbeit mit jemandem. Oder ein Musical? „Rivonia“ war fast schon ein Musical. Mal sehen, was passiert. Im Januar gehen wir erstmal auf Tour, danach fahre ich nach Südafrika.
MusikBlog: Die Tour ist nur in Europa oder auch in den USA?
Cherilyn: Ich hatte bisher leider noch keine Möglichkeit, in den USA zu spielen. Ich würde es sehr gern mal machen oder auch in Japan. Aber vielleicht touren wir demnächst im Nahen Osten, ich hoffe, das klappt.
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.