Das Line-Up für die diesjährige Auflage des Melt! Festivals in Ferropolis bei Gräfenhainichen versprach wie jedes Jahr ein großartiges Programm. Über 150 Acts quer durch alle Musikgenres plus Rahmenprogramm mit Filmen, Interviews und Sonderveranstaltungen im Bauhaus Dessau sorgten dafür, dass man sich sehr beeilen musste, um in den drei Tagen die interessantesten Beiträge auf fünf verschiedenen Bühnen zu erleben.
Freitag, 15.7.2011
Die Band mit der unangenehmen Aufgabe, das Festival am Freitag auf der Main-Stage zu eröffnen, war We Have Band. Souverän nahmen die drei Briten diese Herausforderung an und sorgten bereits am Nachmittag für das erste Highlight des Wochenendes.
Der darauffolgende Beitrag auf der Hauptbühne war für die meisten Feierwütigen dann wohl so etwas wie ein Kulturschock. Die legendären Swans aus New York wirkten im Rahmen des Melt!, bei allem Respekt vor der Idee Musikstile zu verschmelzen, wie Siegmund Freud im Disneyland. Sichtlich genervt von der Lautstärke-Begrenzung seitens des Veranstalters (Wer schon einmal ein Swans Konzert besucht hat, weiß was ich meine, aber man konnte zumindest ohne Ohrstöpsel in der ersten Reihe stehen) spielte die Band ihr Set trotzdem konsequent durch. In manch einem Gesicht der jüngeren Festival Besucher war trotzdem eine gewisse Erleichterung zu erkennen, als Michael Gira nach 20 Minuten den letzten Song ankündigte. Er hatte dabei ja auch nicht erwähnt, dass der eine halbe Stunde lang sein wird. Ob es an der auf dem Dach der Bühne gelandeten Friedenstaube gelegen hat, am Ende hatten sich die beiden Parteien miteinander arrangiert.
Die darauf folgenden Everything, Everything konnten auch nicht wirklich den Weg zum Publikum finden. Zeit, um einen Abstecher ins Intro-Zelt zu machen. Die Band Little Dragon aus Schweden verdeutlichte dort gerade eindrucksvoll die Schwierigkeit, bei einer so großen Veranstaltung konstant hohes Niveau zu buchen. Beats aus dem Baumarktregal mit farblosen, weiblichen Vocals reichen qualitativ eben nicht aus. Dem Publikum war´s egal, das Motto lautete schließlich tanzen, egal wozu.
Wie man es besser macht, zeigten vorher Is Tropical, die durchaus frische Ideen während Ihres Auftritts präsentierten. Auf der Main-Stage steuerte das Festival derweil seinem nächsten Höhepunkt entgegen. The Naked And Famous aus Neuseeland zeigten mit einer fulminanten Show, dass der derzeitige Hype um die Band nicht unberechtigt ist. Und als die ersten Töne von „Young Blood“ (vielen Dank an VIVA) begannen, gab es vor der Bühne schon lange kein Halten mehr. Irgendwie musste ich während des Konzerts aber immer an den Arne Mattsson Film „Sie tanzte nur einen Sommer“ denken. Warum bloß?
Den schrillsten Auftritt des Abends lieferten FM Belfast aus Reykjavik. Als eine Art Kelly-Family mit elektronischer Polka schafften sie es, die Menschen vor der Gemeni-Stage zum Massen-Pogo zu animieren, was in den vergangenen Jahren in dieser Größenordnung nur der Mediengruppe Telekommander gelang.
Auf der Hauptbühne folgte derweil der Flop des Abends. The Drums, die auf Platte durchaus hörbar sind, erwiesen sich als extreme Langweiler. Und ihr Sänger wirkt mit seinen antrainierten Rock-Star-Posen so peinlich wie ein hüftsteifer Teenager beim Abi-Ball. Die kann er sich vielleicht in 20 Jahren leisten, wahrscheinlich aber nie. Paul Kalkbrenner’s Friede-Freude-Eierkuchen Musik, die bekanntlich weder jemandem schadet noch nützt, sorgte für den ersten Massenauflauf, bevor es Boys Noize frühmorgens noch einmal ordentlich krachen ließen.
Samstag, 16.7.2011
Der erste ernst zu nehmende Act am Festivalsamstag war der grandiose Patrick Wolf. Ein nahezu perfektes Konzert, in dem sich die Pop-Perlen aneinander reihten. Spätestens mit seinem Song „The City“ wurde der Multiinstrumentalist zu Everybody’s Darling. Im Zelt spielten derweil These New Puritans einen Bewerbungsgig für das nächste Wave Gotik Treffen.
Danach auf der Hauptbühne Beady Eye, also Oasis ohne Noel Gallagher. Die lieferten eine abgezockte Profi-Rock-Star-Show. Liam Gallagher wirkte in Optik und Gestik, als wäre er in der Mitte der Neunziger stecken geblieben. Leider hatten sich einige jugendliche Festivalbesucher in den ersten Reihen wohl nicht über die gelegentlichen Gewaltausbrüche des Barden informiert. Gut, dass die Security nicht nur den Künstler vor den Fans schützt, sondern auch die Fans vor dem Künstler. Liam Gallagher ließ aber selbst nach einem Bierbecher-Wurf Gnade vor Recht ergehen und beließ es beim geschätzten 150-maligen Benutzen seiner Lieblingsvokabel (Tipp: fängt mit „F“ an und hat 4 Buchstaben).
Während anschließend ein erstaunlich massenkompatibler Mike Skinner mit seinen vielköpfigen Streets radiotauglichen Pop-Rap abliefert, damit für Gedränge vor der Hauptbühne sorgte und folgend die Editors (welche man inzwischen auch Coldplay des Ostens nennen könnte) ihr Stadion-Rock Konzert zelebrierten, fand im Intro-Zelt der eigentliche Höhepunkt des Abends statt: DAF.
Schon beim ersten Sequenzer-Geblubber des Openers „Verschwende deine Jugend“ zuckte das ganze Zelt. Und als im dritten Song der Mussolini tanzte, stand niemand mehr still. Riesenkonzert. Schleierhaft bleibt nur, warum sich Gabi Delgado, stilecht in Lederhose und praktisch freiem Oberkörper, etwa 20 Flaschen Wasser über den Kopf goss. Wahrscheinlich weil ältere Aggregate mehr Kühlung brauchen.
Im Anschluss ballerten die Electro-Punks von Atari Teenage Riot musikalisch alles um, was bis dahin noch stehengeblieben war. Auf der Main-Stage indessen hatten Digitalism erstaunlich viel Mühe, die Menschen in Bewegung zu versetzten. Wirklich freiwillig passierte das nur bei der offiziellen Festivalhymne „2 Hearts“.
Sonntag, 17.7.2011
Der etwas kürzere Festivalsonntag sorgte bei einsetzendem Dauerregen und abreisenden Besuchern für viel Beinfreiheit. Glück im Unglück: Plan B sagten ihren Auftritt ab. Stattdessen tobte Frittenbude über die Main-Stage. Deren Mitgröhl-Refrains hielten warm und halfen, den Regen zu vergessen.
Die unterschätzten Fotos gaben derweil im trockenen Zelt ein feines, kleines Konzert. Die folgenden Headliner White Lies spielten dann meilenweit hinter dem Pathos her, welcher der Band gern angedichtet und von Seiten der Akteure auch selten bis nie entkräftet wird. Machte aber nichts, das sehr textsichere Publikum war trotzdem begeistert.
Abschluss des Festivals: Pulp. Der bestens aufgelegte Jarvis Cocker enterte die Bühne und zeigte vor allem den weiblichen Fans, dass er nichts von seinem Sex-Appeal eingebüßt hat. Und er wusste, was das Publikum hören wollte, lieferte von „Common People“ bis „Disco 2000“ alle Hits ab. Ein würdiger Abschluss des Festivals.
Dann gingen an den Abraumbaggern die Lichter aus. Ein dickes Lob an die Veranstalter für ein bis hin zum Parkplatzeinweiser und der Müllpfandrückgabe perfekt organisiertes Festival. Und wenn beim nächsten Mal noch besonders dämlich verkleidete Besucher draußen bleiben müssen, gibt es wirklich nichts mehr zu meckern. Karneval ist in Köln.
Ein Jahr warten auf das nächste Melt! „This is Hardcore“…